Mutmach-Geschichte
Und plötzlich CRPS
von a_spoonful_of_crps
Die Zutaten:
Eine Naturwissenschaftlerin, ein gebrochener Arm und CRPS
Vorwort der Herausgeber zur Geschichte
Wenn ein Mensch durch eine Krankheit plötzlich aus seinem gewohnten Leben herausgerissen wird und alles anders ist, dann braucht es Zeit. Zeit, um wütend und traurig zu sein; Zeit, um mit dem Schicksal zu hadern – aber auch Zeit, um irgendwann das Unvermeidliche anzuerkennen, den Kopf zu heben und endlich wieder einen Weg zu sehen.
Die Autorin, die gerne anonym bleiben möchte, ist genau an diesem Punkt angekommen. Sie ist dort, wo es noch nicht gut ist, aber besser. Dort, wo der Mensch erstaunt feststellt, dass trotz des ganzen Elends das Leben weitergeht und es noch Licht und Fröhlichkeit in der Welt gibt. Wo er diese Ungeheuerlichkeit der immer wieder aufgehenden Sonne, der ziehenden Wolken, der zwitschernden Vögel wieder registriert – eben diesen kleine Funken Hoffnung, der sich Leben nennt.
Wir wünschen der Autorin das Allerbeste und drücken fest die Daumen, dass es bald gut wird.
Neonlicht
Das Neonlicht flackerte. Der Wartebereich war voll. Ich nahm nur eine unbestimmte Masse an Menschen wahr. Mir folgten die Blicke, während ich zur Anmeldung ging. Es war Sonntagnachmittag. Ich hatte mir vermutlich den Arm gebrochen.
„Die Krankenkassenkarte, bitte.“ Mit fahrigen Fingern versuchte ich die Plastikkarte aus meinem Portemonnaie zu ziehen. Einhändig war das schwer.
Offenbar waren viele Bagatellfälle hier, ich durfte direkt im Flur warten, wurde nicht mehr raus in den Wartebereich geschickt. Ich war froh zu sitzen. Die Fahrt in die Notaufnahme war holprig gewesen und bei jedem Stoß hatte ich die Zähne zusammenbeißen müssen. Die Kühlpads, die ich von zu Hause mitgebracht hatte, wurden langsam warm, aber ich wurde zum Glück aufgerufen.
Eine kurze Untersuchung, dann wurde ich zum Röntgen geschickt. Der Arm war tatsächlich gebrochen, das konnte sogar ich auf den Röntgenbildern erkennen. „Das Ergebnis ist eindeutig. Eine distale Radiusfraktur, sehen Sie.“, sagte der Arzt, während er mit einem Kugelschreiber auf den dunklen Schatten auf dem Computerbildschirm deutete.
Der Bruch musste gerichtet werden. Dazu wurde mein Arm mit den Fingern oben in ein Gestell gehängt, den sogenannten Mädchenfänger, der Arm wurde mit Gewichten nach unten gezogen, dann unter Röntgenkontrolle wieder gerichtet und schließlich gegipst. So sollte jetzt alles wieder heilen können. Ich wurde nach Hause geschickt. Der Bruch war schmerzhaft, aber es war auszuhalten. Mit Schmerzmitteln konnte ich die Nacht sogar durchschlafen.
Schmerz
Am nächsten Tag sollte ich zur Kontrolle wieder in die Notaufnahme kommen. Sie wollten dann doch operieren, ein Draht sollte von außen in den Knochen gebohrt werden, danach würde ich wieder nach Hause gehen können. Ich unterschrieb die nötigen Unterlagen, ich vertraute ja den Ärzten. Diesmal musste ich warten, es war ja kein Notfall mehr. Außerdem war es Montag und die Notaufnahme war sehr viel voller als am Vortag.
Sieben Stunden später wurde mein Arm wieder ausgehängt. Diesmal war das ganze Verfahren viel schmerzhafter, durch die entstandene Schwellung war es schwer, das Schmerzmittel überhaupt in den Knochenspalt zu spritzen und überhaupt. Dann wurde mir ein Draht von außen in den Bruch gebohrt, neu gegipst und fertig.
Das war ich auch, im wahrsten Sinne des Wortes. In dieser Nacht war alles anders. Ich konnte nicht schlafen, sobald der Gips irgendetwas berührte, tat es weh. Und zwar richtig weh. Der Bruch selbst tat auch weh. Ich bin hart im Nehmen, aber in dieser Nacht habe ich das erste Mal seit meiner jüngsten Kindheit vor Schmerzen geweint.
Ich traute mich nicht über die Schmerzen zu reden, denn ich dachte es sei normal, dass man nach einem Bruch Schmerzen hat. „Stell dich nicht so an.“, sagte ich zu mir selbst. Aber tief in mir kamen Zweifel auf; solche enormen Schmerzen, die jegliches Denken unmöglich machten, die konnten doch nicht normal sein? Hätte ich der Operation doch nicht zustimmen sollen? Aber ich schwieg, machte alles nur mit mir selbst aus.
Die Hand wurde blau; ich meine so richtig blau. Es bildete sich ein riesiges Hämatom bis in die Finger hinein, mit dem Ergebnis, dass ich diese kaum mehr bewegen konnte. Nach zwei Wochen hörte ich das erste Mal das Wort CRPS, komplexes regionales Schmerzsyndrom. Der Unfallchirurg erwähnte, dass es sich entwickeln könnte, wenn das so weiter ginge. Es sollte aber noch drei Monate und einige Irrwege dauern, mit Ärzten, die einen eher als unfähig darstellten, bis die Diagnose wirklich gestellt wurde.
Der Gips war nach 6 Wochen ab, die Hand geschwollen, extrem berührungsempfindlich und behaart. Die Beweglichkeit des Handgelenks verbesserte sich kaum, trotz Physio- und Ergotherapie. All das waren Zeichen für CRPS. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch Hoffnung, dass es sich einfach um einen verzögerten Heilungsverlauf handelte, denn keiner der vielen Ärzte, die ich aufgesucht hatte, diagnostizierte CRPS oder verwies mich an einen Schmerzarzt.
Auf die Idee einen Schmerzarzt aufzusuchen kam ich erst später, als mein Physiotherapeut andeutete, dass ich mir vielleicht einen anderen Arzt suchen sollte. Es war sehr schwer einen Termin zu bekommen, aber direkt bei meinem ersten Termin bekam ich die eindeutige Diagnose: CRPS in der linken Hand.
Einhänderin
Das ist jetzt zweieinhalb Jahre her. Ich starre auf meine Hand.
Geschwollen.
Verfärbt.
Das Handgelenk kaum beweglich.
Immer noch.
Das ist jetzt mein Leben. Nur die Finger sind etwas besser.
Es war mal meine dominante Hand. Jetzt bin ich Rechtshänderin geworden. Einhänderin. Gibt es diesen Begriff? Meine berufliche Zukunft als Naturwissenschaftlerin steht irgendwo in den Sternen, wenn überhaupt. Im Haushalt muss mein Freund immer mehr übernehmen als früher. Alleine so weiter zu leben wie früher wäre für mich undenkbar. Alles muss man umdenken. Schuhe binden. Anziehen. Waschen, die Hand mag kein Wasser, Wasser brennt auf der Haut, ich wasche sie nur sehr selten und ungern. Meistens trage ich einen Handschuh, um die Hand vor Berührungen, vor Wind und Kälte zu schützen. Manchmal ertrage ich aber auch den Handschuh nicht. Aber das ist zum Glück seltener geworden.
Umdenken ist anstrengend. Man kann nicht gleichzeitig die Tür abschließen und einen vollen Müllbeutel halten, der umkippen würde, wenn man ihn auf den Boden stellt. Man kann nicht mehr Auto fahren, mit nur einer Hand. Essen machen wird schwer bis unmöglich mit einer Hand, die zudem nicht so geschickt ist. Wir haben immer sehr viel und auch komplizierte Gerichte gekocht, mit mehreren Töpfen und Pfannen gleichzeitig. Jetzt macht mein Freund das meist alleine. Ein Leben mit Einschränkungen. Man verliert Selbstständigkeit, muss sie sich mühsam wieder erarbeiten.
Und dazu kommen die Schmerzen, etwas worüber ich nicht gerne spreche. Manchmal ist es ein Stechen, wie von einem Dolch durchstoßen zu werden, immer wieder und wieder und wieder, mit kurzen Pausen dazwischen. Es kann aber auch ein brennender Schmerz sein, manche sagen wie Feuer, ich würde sagen wie gezwiebelt, wie Chili.
Ich weiß nicht, ob es wieder weg geht, ich weiß nicht, ob ich jemals wieder gesund sein werde. Ich will den Glauben daran nicht verlieren. Aber es ist schwer so eine Krankheit wie CRPS zu akzeptieren und trotzdem positiv zu bleiben. Vielleicht ist es auch unmöglich.
Gedankenspirale
Ich starre auf meine Hand und versuche all das zu begreifen, was sich in meinem Leben geändert hat. Wie soll man noch Spaß haben, wenn nichts mehr geht, wenn alles weh tut? Es ist schwierig morgens aufzustehen, es macht doch auch gar keinen Sinn. Ich liege im Bett und starre die weiße Decke an. Ist es denn wichtig einen Tagesrhythmus beizubehalten? Ist es denn wichtig aufzustehen und sich umzuziehen? Ich stehe auf, nehme meine Medikamente und bin bereits angestrengt vom Aufstehen. So viel Müdigkeit war noch nie in mir drin. Ich lege mich wieder hin. Aber ich sollte etwas essen. Ich mag nicht essen, wo auffällt, dass ich CRPS habe. Ich mag kein Brot bestreichen. Ich mag nicht mit der für mich falschen Hand einen Löffel Müsli zum Mund balancieren.
Es wird besser, ja. Aber es fühlt sich trotzdem wie Versagen an. Ich bin immer noch nicht wieder gesund. Nach so langer Zeit. Tief in mir drin fühle ich mich verantwortlich dafür. Andere mit CRPS werden auch nach ein paar Monaten wieder gesund, wurde mir erzählt. Warum ich nicht? Ja, es gibt auch Leute, bei denen es offensichtlich nicht weggeht. Aber manchmal habe ich das Gefühl, sie haben nicht genug getan. Ist CRPS denn wirklich heilbar? So geht die Gedankenspirale in meinem Kopf. Mein Selbstvertrauen ist im Keller. Ich fühle mich schuldig für alles, schuldig für alle Umstände und Probleme und dafür, dass ich krank bin.
Manchmal geht auch gar nichts in meinem Kopf, dann ist alles, was ich spüre, Leere. Keine Freude, kein Spaß, keine Aufregung. Aber es bedeutet auch keine Trauer, kein Verlust, kein Schmerz. Es ist einfacher nichts zu fühlen, als sich mit all dem auseinanderzusetzen.
Was ist nur aus meinem Leben geworden? Welche Ziele darf ich überhaupt noch haben, darf ich hoffen?
Ist das Schicksal? Ist es vorherbestimmt? Es macht keinen Sinn so eine Krankheit wie CRPS zu haben. Etwas lernen kann man auch sehr viel einfacher und unkomplizierter. Ich wehre mich dagegen, dass es einen Sinn hat. Es ist Zufall, ein Aufeinandertreffen unglücklicher Umstände. Vielleicht geht es dann ja auch wieder weg, wenn ich nur genug zu den Therapien gehe und übe.
Dazu kommen dann noch Geldsorgen, als Student bekommt man kein Krankengeld und mein Stipendium wurde gestrichen. Außerdem ist da der Kampf mit der Krankenkasse um ein wirkungsvolles Medikament, dessen Kosten sie nicht übernehmen wollen. Das Medikament ist wie ein Wundermittel für mich. Es hilft mir gegen alle möglichen Symptome des CRPS, trotzdem will es die Krankenkasse nicht zahlen. Also erstmal selbst zahlen.
Und all das wirkt sich so sehr auf die Familie aus, die nur zusehen kann; es wirkt sich auf Freunde aus, für die man keine Energie mehr aufbringen kann. Ich kann nur hoffen, dass sie mir manches nachsehen und weiter den Glauben an eine schöne gemeinsame Zukunft behalten.
Ich sitze am PC und denke nach. Was bringt mir meine Krise?
Die Medikamente haben mich dick gemacht. Ich muss dagegen ankämpfen, vielleicht ernähre ich mich auch weniger gesund?
Ich gebe mir Mühe. Mühe geben reicht nicht.
Das ist die härteste Lektion, die ich zu lernen habe. Man kann nicht alle Ziele erreichen, egal wie sehr man sich anstrengt.
Vielleicht hatte ich es bisher ja auch zu einfach im Leben?
Der Körper hat Grenzen. Meine Grenzen sind plötzlich sehr viel enger.
Wer hat nochmal behauptet, der Mensch sei frei?
Und wieder – vielleicht strenge ich mich auch nicht genug an.
Dabei weiß ich, dass ich es tue.
Den Lichtschalter mit links bedienen, die Türklinke mit links herunterdrücken – ich versuche es.
Ich kämpfe dagegen an die Hand zu ignorieren. Ignorieren ist eine Möglichkeit mit den Schmerzen klar zu kommen.
Aber vermutlich nicht der richtige.
Das Schwierigste ist, ich muss akzeptieren lernen. Akzeptieren, ohne aufzugeben. Nur so kann es einen Weg nach vorne geben.
Es gibt keine Lösung.
Außer Durchhalten.
Die Hoffnung nicht verlieren.
Warum das trotzdem eine Mutmachergeschichte ist?
Weil sie sagt: „Schau mal, du bist nicht alleine. Du bist nicht alleine, du hast keine Schuld und du kannst es durchhalten.“
Auf das Happy End kann man manchmal lange warten. Deswegen muss man einen Weg finden, wie man selbst mit sich zurechtkommt.
Und mein Weg aus diesem ganzen Schlamassel ist – glaube ich – so etwas hier:
Frei schreiben – oder vielleicht freischreiben?
Loswerden, was ich nicht aussprechen kann.
Wenn ich es aufgeschrieben habe, kann ich auch besser darüber reden. Ich habe schon immer gerne geschrieben, mir Geschichten ausgedacht. Nach meiner Erkrankung wurde das weniger. Jetzt habe ich mich herangewagt. Es ging erstaunlich leicht, das hier aufzuschreiben. Das hätte ich nicht gedacht. Vielleicht ist es ein Wink mit dem Zaunpfahl. Kommunikation über seine Probleme kann sehr schwer sein.
Schreiben kann wie laut denken in Zeitlupe sein. Und das Schöne ist – man kann es teilen.“
Wer hat hier geschrieben?
2018 erkrankte 2018 sie während ihrer Zeit als Doktorandin an CRPS. Nun hat „a_spooful_of_crps“ Hobby und Krankheit verbunden und erzählt uns von ihrer einschneidenden Krankheitsgeschichte, um anderen in ähnlichen Situationen zu helfen. Sie ist dankbar, dieses Portal hier für eine bessere Aufklärung über CRPS nutzen zu können. Auch mit Ihrer Instagramseite möchte „a_spoonful_of_crps“ über die Krankheit aufklären und anderen Mut machen.
Diese Geschichte von a_spoonful_of_crps ist Teil des Schreibwettbewerbs „Mut in der Krise“ und beruht auf einem persönlichen Erlebnis.
Genauere Informationen zum Wettbewerb findest du hier: Mut in der Krise.
Liebe Bettina,
es tut mir Leid davon zu hören. Auf sich alleine gestellt stelle ich mir das Leben mit CRPS nicht einfach vor.
Aber schön, dass Dir das Schreiben auch zu helfen scheint.
Genau, die Hoffnung stirbt zuletzt! Vielen Dank für Deinen Kommentar.
Vielen lieben Dank für diese Geschichte!
Es hat mich sehr erschüttert, aber auch etwas Hoffnung geweckt. Vor fast einem Jahr wurde bei mir CRPS am Fuß und Unterschenkel festgestellt. Es war ein Mathyrium. Meine Geschichte ist zu lange und zu komplex, als daß ich es hier näher erwähne. Ich lebe allein, viele km vom Heimatort entfernt und musste und muss alles regeln. Es kostet ungemein viel Kraft sich durch zu setzen. Mit Krankenkasse, MDK… Schuhe habe ich bis heute nicht. Bin kaum gehfähig. Und dann diese extremen Schmerzen.Im März musste ich wegen der Maßnahmen vorzeitig aus der Klinik. Das Verständnis der Mitmenschen hält sich in Grenzen. Das will ich aber nicht verurteilen.
Auch ich habe immer gerne geschrieben. Und während dessen treten diese Schmerzen etwas in den Hintergrund. Die Hoffnung, auf eine Besserung stirbt zu letzt!
Danke, dass ich meine Zeilen mitteilen darf!
Herzliche Grüße
Bettina