Hilfe für Frühchen

Von Redaktion
Fuß Frühchen

Mutmach-Geschichte

Hilfe für Frühchen

von Sabrina Meinen

 

Die Zutaten: Eine Therapeutin, die zur Betroffenen wird, ein Frühchen, mit dem gleichzeitig eine Idee geboren wird, die anderen Betroffenen hilft.

Babyhand

Vorwort der Herausgeber zur Geschichte

Wenn das sehnlichst erwartete Kind viel zu früh geboren wird, ist dies ein ganz persönliches Drama. Im hier beschriebenen Fall ist die betroffene Mutter eine erfahrene Ergotherapeutin, die aus dem Drama eine Idee entwickelt, die nicht nur anderen Betroffenen helfen, sondern vor allem die Entwicklung der Frühchen enorm positiv beeinflussen kann.

Wir danken Sabrina Meinen für diesen wertvollen Beitrag und unterstützen die Autorin sehr darin, andere Betroffene zu informieren und die Öffentlichkeit über den Nutzen von Therapien für Frühchen aufzuklären.

Viel zu früh

Meine Mutmachgeschichte hat nicht mit Corona zu tun. Ich habe meine persönliche Krise  zwei Jahre zuvor erlebt und ausgestanden. Sie handelt von der Geburt meines Sohnes. Sein Geburtstermin war eigentlich erst für Mitte Juni  ausgezählt, aber es kam anders als wir dachten. Punkt  Mitternacht am 1. April wurde ich plötzlich wach, spürte zugleich, dass etwas unmöglich stimmen konnte: Ich hatte Blutungen. Sofort alarmierte ich meinen Mann und in Windeseile saßen wir im Auto auf dem Weg ins Krankenhaus. Unterwegs animierte ich immer wieder mein Baby, indem ich über meinen Bauch strich. Zu meiner Erleichterung strampelte und trat es in meinem Bauch.

Im Krankenhaus angekommen, wurden sofort erste Maßnahmen  eingeleitet. Ich kam ans CTG, um die Wehentätgikeit aufzuzeichnen. Weil diese wirklich vorhanden waren, wurden sie gehemmt. Zusätzlich sah der Arzt nach meinem Sohn. Diesem schien es gut zu gehen.

Aber in dieser Klinik konnte ich nicht bleiben, da ein Perinatalzentrum und Anschluss an ein Kinderkrankenhaus notwendig war. Ich wurde also per Krankenwagen weitertransportiert.

Zunächst wurde alles stabilisiert, schien in bester Ordnung. Meinem kleinen Jungen ging es gut, meine Wehen stoppten. Die Blutung war kaum da. Die Ärzte entschieden, dass ich nach Hause dürfte, sobald die Blutung gänzlich aufhört. Doch dazu kam es nicht. Stattdessen kam der Abend des 04.04. und mit ihm die Wehen. Diesmal heftiger, häufiger und auch alle anderen Zeichen einer bevorstehenden Geburt stellten sich ein.

Noch wollte ich meinem Mann nicht Bescheid sagen, denn er hätte fast 100 km fahren müssen. Außerdem sollte er eine ruhige Nacht verbringen. Ich dagegen hatte eine mehr als aufregende Nacht. Erst Minute um Minute, dann Stunde für Stunde kämpfte ich gegen die bevorstehende Geburt. 

Vergebens – am Morgen war klar, die Geburt ist unaufhaltsam. 

Also informierte ich endlich meinen Mann , der Punkt 10 Uhr im Krankenhaus ankam. Ich entspannte mich etwas und konnte endlich so weit loslassen, dass die Fruchtblase platzte und um 11:40 Uhr unser Kind 10 Wochen zu früh auf die Welt kam. Verglichen mit einem termingerechten Kind, war es viel zu klein – nur 41 cm und extrem leicht – gerade einmal 1220 g brachte es auf die Waage. Verglichen mit den anderen Frühchen, war unser Sohn jedoch einer der stabileren Säuglinge. Denn viele der anderen Babys kamen noch viel früher, in Schwangerschaftswochen zwischen der 26. und 28. Schwangerschaftswoche, zur Welt.

Neonatologie - völlig neu für mich

Durch mein Baby lernte ich einen mir völlig neuen Bereich kennen: die Neonatologie . Dieser Fachbereich befasst sich mit der Behandlung von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen.

Als gelernte Ergotherapeutin kenne ich mich ein wenig mit Krankheiten sowie Krankenhäusern aus. Ich bin zwar auf die Behandlung neurologisch erkrankter Patienten spezialisiert, aber mein Wissen und meine Erfahrungen als Therapeutin hielten mich aufrecht. Ich nutzte diese Erfahrungen, um meine eigene Situation zu handeln. Immer wieder bekam ich Unterstützung durch meinen Mann, der uns regelmäßig besuchte. Genauso wie ich kuschelte er mit unserem Sohn, trotz all der Kabel, des Inkubators, der Magensonde und weiteren Dingen.

Gemeinsam konnten wir für unser Kind da sein. Mein Mann, ich und die Milchpumpe.

Kaum ergänzende Therapieansätze für Frühchen

Während des Krankenhausaufenthaltes bemerkte ich, dass wenige der viel zu früh geborenen Babys Therapie erhielten. Von Ergotherapie  keine Spur – später erfuhr ich, es gibt deutschlandweit nur eine einzige Ergotherapeutin auf der Neonatologie. Dabei bin ich mir sicher, dass eine Ergotherapeutin die Eltern sehr gut unterstützen kann, die viel zu frühe Aufnahme der Mutter- oder Vaterrolle zu bewältigen. Auch eine logopädische Therapie – um beispielsweise Saug- und Schluckstörungen zu behandeln –  gab es hier auf der Frühchenstation nicht und selbst Physiotherapie bekamen nur sehr wenige Kinder. Trotz meiner ständigen Nachfragen sowie ärztlicher Bemühungen, war für für mein Baby nicht eine einzige Therapie vorgesehen.

Ein Punkt den ich so nie und nimmer so stehen lassen konnte. Und nicht allein diesen. Mehrfach stellte ich fest, dass Frühchen den Menschen zwar ein Begriff sind, die wenigsten aber wirklich die Besonderheiten eines frühgeborenen Kindes kennen.

Durch den Kontakt zu anderen Frühchenmamas erfuhr ich von den vielen Hürden, die ich mit meinem Sohn simpel meistern konnte. Ich  meine damit keineswegs die generelle Entwicklung, weil sie bei den Kindern sehr verschieden ist. Viel mehr meine ich die fachliche Unterstützung, die ich dank meiner Arbeit als Therapeutin schnell organisieren konnte. Ganz anders als es im Krankenhaus auf der Frühchenstation war, erhielt ich nun immer Unterstützung und wenn ich um eine Therapie bat, egal ob Ergo-, Physiotherapie oder Logopädie, erhielt ich sie.

Andere dagegen mussten regelrecht betteln, obwohl sich zum Beispiel das Kind mit seinen korrigiert 6 Monaten (unkorrigiert 9 Monate)   weiterhin nicht zur Seite drehen konnte. Korrigiert bedeutet hier, dass die Wochen zwischen Frühgeburt und dem ursprünglichen Geburtstermin vom tatsächlichen Alter abgezogen werden. Beim gerade genannten Beispiel ist das Kind bereits seit 9 Monaten auf der Welt, wurde aber 12 Wochen zu früh geboren, so dass es vom Entwicklungsstand her, erst 6 Monate alt ist.

Auch meine Hebamme hatte zu wenig Erfahrung mit Frühchen, denn sie meinte, ich würde niemals in der Lage sein mein Baby zu stillen. Sie hätte noch nie gehört, dass es jemand geschafft hätte vom Pumpen auf Vollstillen umzustellen. Naja, jetzt kennt sie eine Person, die es geschafft hat.

Dank der Anleitung einer ehemaligen Kollegin im Kuscheln und Halten meines Sohnes, das zum Abbau unserer Bindungsstörung diente, steigerte sich auch mein Milchspendereflex. In Kombination dazu wurde ich im Umgang mit Reizregulationsstörungen eines Babys angeleitet, so dass sich das Trinkverhalten meines Sohnes deutlich besserte.

Reizregulationsstörungen oder Bindungsstörungen treten aufgrund des frühen Startes und dem durch Inkubator und/ oder Wärmebett reduzierten Kontakt zwischen Mutter und Kind häufig auf. Nicht immer werden diese Störungen erkannt, oft glauben die Eltern, das Kind sei eben unruhig und kuschele nicht gern. Dank meiner Ausbildung und Berufserfahrung konnte ich die Anzeichen bei meinem Sohn schnell erkennen und sorgte für die entsprechende Behandlung.

Alle meine Erlebnisse machten mich einerseits sehr glücklich, denn ich habe die richtigen – nämlich sehr gut ausgebildete und auf Frühchen spezialisierte – Therapeuten und Ärzte für meinen Sohn gefunden. Fachpersonen die entsprechende Zusatzqualifikationen haben oder Fortbildungen.

Des Öfteren passiert es, dass Eltern zu einem einfachen Kinderarzt gehen, der die Auffälligkeiten des Kindes aufgrund der frühen Geburt übersieht. Oder sie suchen einen Osteopathen auf, der keine Spezialisierung für Kinderosteopathie hat. Sicher machen Eltern das nicht mit Absicht. Nein, es geschieht in erster Linie durch Unwissenheit. Woher soll ein Laie wissen, dass Behandlungen von Kindern, die als Frühchen zur Welt kamen, durch speziell ausgebildetes Fachpersonal erfolgen sollten?

So viele hilfreiche Therapiemöglichkeiten

Mein Junge entwickelt sich dank seiner Therapeuten und der unermüdlichen Art von uns Eltern wunderbar. Auch wenn es noch Defizite gibt, zum Beispiel in seiner Sprachentwicklung, so bekommt er alles , was nötig ist, um diese zu überwinden. So wurden wir als Eltern durch eine spezialisierte Logopädin angeleitet, seine Kaumuskeln zu trainieren. Das Training der Mundmotorik, also der Muskeln zum Kauen und Schlucken, ist wichtig für die weitere Sprachentwicklung.

Bereits im Krankenhaus formten sich erste Ideen und Gedanken bei mir, wie ich andere Frühcheneltern unterstützen könnte: Beispielsweie mittels einer ganzheitlichen App zur Organisation der Zeit während und nach dem Krankenhaus, Fachliteratur für mehr Aufklärung zu Folgeproblemen bei Frühgeborenen, Organisationshilfen von ersten Therapien, Unterstützung bei der Wahl von Fachärzten etc.

"Durch meine Situation war mir sofort bewusst, dass sich etwas für die Frühchen und ihre Eltern ändern muss. Ich habe das Gefühl, dazu berufen zu sein. Wenn schon einmal eine Ergotherapeutin Frühchenmama wird, sollte das auch für etwas gut sein."

Kurze Zeit nachdem wir zu Hause waren, begann ich mit damit E-Mails zum Thema zu schreiben. Die Empfänger waren der Hebammen-, der Physiotherapeuten-, Ergotherapeuten-, Logopäden- und Frühchenverband. Auch Kinderpfleger und Kinderärzte habe ich angeschrieben.

Viele gaben mir eine Antwort, mit manchen telefonierte ich. Es lief super an. Die Hebammen wollten sogar die Frühgeburt zum Thema einer Fachtagung machen. Dennoch bemerke ich, dass ich einen langen Atem brauche, wenn ich wirklich etwas verändern will. Denn mittlerweile sind zwei Jahre vergangen und außer einigen Veröffentlichungen in Fachzeitschriften hat sich noch nicht viel bewegt. Durch Corona ist es noch schwerer, mein Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen. 

Aber schließlich hat alles etwas Gutes – ich nutze die Zeit. Meine berufliche Tätigkeit habe ich auf ein Minimum reduziert, da ich meinen Sohn derzeit nicht in die Krippe bringen möchte. Zu groß ist meines Erachtens die Gefahr einer Infektion. Wenn er schläft, habe ich Zeit die Korrespondenz zum Thema Frühchen wieder aufzunehmen und zu vertiefen. Jetzt ist die Zeit der Pläne, die nach Corona umgesetzt werden können.

Insgesamt bin ich durch die neue Situation, eine Frühchenmama zu sein, mutiger geworden. Ich frage gezielter und fordere die Antworten ein. Mein Mut ist mittlerweile so groß, dass ich schon mehrfach Politiker angeschrieben habe. Zum einen habe ich Frau Dr. Franziska Giffey meine Gedanken und Ideen über das Thema Elterngeld bezüglich Frühcheneltern geschildert. Zum anderen habe ich mir ein Herz gefasst und einen Brief an das Gesundheitsministerium geschrieben. Sämtliche Belange die mich zum Gesundheitssystem allgemein, aber vor allem in Hinsicht der Frühchen bewegen, habe ich schriftlich übermittelt. Die Antwort, dass mein Anliegen an die Fachabteilung weitergegeben wurde, lässt mich hoffen, dass sich bald etwas in der Frühchentherapie ändern wird.

"Ich bin auf jeden Fall wild entschlossen, die Welt der Frühchen positiv zu verändern"

Wer hat hier geschrieben?

Sabrina Meinen ist Ergotherapeutin und Mutter eines Sohnes,
der  zehn Wochen zu früh zur Welt kam.

Diese Geschichte von Sabrina Meinen ist Teil des Schreibwettbewerbs „Mut in der Krise“.

Sie beruht auf ihren persönlichen Erfahrungen als Frühchenmama und Ergotherapeutin

Genauere Informationen zum Wettbewerb findest du hier: Mut in der Krise.