Was wirklich zählt

Von Redaktion
Tirol Seebensee

Mutmach-Geschichte

Was wirklich zählt

von Sara Puchelt

Die Zutaten:

Die Natur, ein zwangsgetrenntes Paar, die Besinnung auf das Wesentliche.

Vorwort der Herausgeber zur Geschichte

Dieser spannende und emotional bewegender Tatsachenbericht kommt von Sara. Sie und ihr Mann wurden in den schönsten gemeinsamen Plänen von Corona überrascht und getrennt.

Wir danken Sara Puchelt für Ihren Beitrag.

Der gemeinsame Traum

Seit Jahren hatten wir einen Traum: Naturnah in den Bergen leben. Wir spürten, dass es an der Zeit war, uns diesen Traum endlich zu erfüllen. Wir wollten nicht mehr den Arbeitsstellen nachjagen, um über die Runden zu kommen und dauernd umziehen. Nein, wir wollten nur noch ein einziges Mal umziehen, einen erfüllenden Job machen und endlich die Natur genießen.

Unsere letzten Reisen führten uns fast ausschließlich nach Tirol. In eine Gegend mit zahlreichen türkisblauen Seen, von Nebelschwaden umgebener Berge und offener Atmosphäre. Tirol wirkte äußerst anziehend auf uns und wir bekamen gar nicht genug von den Wanderungen durch Täler, über Berge und der Abkühlung in Bergseen. Ganz zu schweigen vom leckeren Kaiserschmarrn. Mit jeder Reise wuchs unser Wunsch hier zu leben, wurde immer stärker und bald schon hielten wir Ausschau nach Arbeit.

Was für ein Glück!

Von einem Freund, ganz in der Nähe unseres Wunschortes, erfuhren wir, dass an dessen Arbeitsstelle neue Mitarbeiter gesucht wurden. Was für ein Glück! Mein Mann konnte viel Berufserfahrung vorweisen und kam gleich für mehrere Bereiche in Frage. Nach einem Vorstellungsgespräch im August letzten Jahres erhielt er auch ziemlich schnell eine Zusage. Er könne sofort beginnen. Wir konnten kaum fassen, dass unser Ziel plötzlich zum Greifen nah war und waren gleichzeitig verzweifelt, denn „Sofort“ konnten wir nicht realisieren. Zu viele Verpflichtungen mussten erst erledigt werden. Wir waren traurig über die verpasste Chance.

Doch schon im Dezember klingelte das Telefon und mein Mann bekam eine Stelle angeboten, die ab Februar 2020 zu besetzen wäre. Hurra! Damit stand unserem Wunsch in den Bergen Tirols zu leben und zu arbeiten nichts mehr im Wege. Ich, als Freiberuflerin im Homeoffice, habe sowieso die Freiheit zu arbeiten, wo immer ich möchte, was mir zu Zeiten des Shutdowns noch zugutekommen sollte.

Voller Enthusiasmus kündigten wir unsere Wohnung für Ende März 2020, da sollte dann auch der Umzug stattfinden. Während der Übergangszeit hatte mein Mann eine kleine, feine Unterkunft, ganz in der Nähe seiner neuen Arbeitsstelle. Am Anfang pendelte ich noch und war zeitweise bei ihm und zeitweise an unserem alten Wohnort.

Als Anfang Februar die ersten Nachrichten eintrudelten, dass in China wieder einmal „so ein Virus ausgebrochen“ sei, waren wir noch guten Mutes. Nicht Neues, nichts Besorgniserregendes, so glaubten wir. Zu diesem Zeitpunkt war in Europa noch keine Rede von einem gefährlichen Virus.

Doch die Lage spitzte sich zu: Es gab erste Covid-19-Fälle in Italien, den USA und Spanien, dann auch in Österreich und Deutschland. Es kam zu Hamsterkäufen, viele Menschen sorgten sich um ihre Existenz, hatten Angst, sich und andere anzustecken und schlimmstenfalls zu sterben. Die Folgen des noch kaum bekannten Virus waren nicht abschätzbar. Ärzte und Wissenschaftler sprachen davon, dass das Virus „nur“ bestimmte Risikogruppen betreffen würde und dass es kaum schlimmer sei als eine Grippe. Die Vielzahl an unterschiedlichen Schlagzeilen und Theorien erschwerten es, den Überblick zu behalten.  Misstrauen, Skepsis, Angst und Panik breiteten sich aus – genau wie das Virus.

Letztendlich war es kaum noch nachvollziehbar, was nun für wen eigentlich galt. Großveranstaltungen wurden abgesagt und die Einschränkungen für die Bevölkerung immer weiter verstärkt. Es kam zum Shutdown.

Natur zum Durchatmen

Wenn auch nicht in Tirol und weit weg von meinem Mann, den Aufenthalt in der Natur ließ ich mir nicht nehmen, Abstand hielt ich sowieso. Ich merkte, dass viele Menschen meiner Umgebung sich durch die Ausgangsbeschränkungen wieder mehr der Natur zuwandten und den Aufenthalt in der Natur mit ihren Familien sichtlich genossen.

Angst und Anspannung

Gleichzeitig wurde die Angst, jemanden unabsichtlich anzustecken immer präsenter, das Virus war allgegenwärtig und zugleich unsichtbar. Neueren Erkenntnissen zufolge wurde deutlich, dass nicht jeder Infizierte das Virus symptomatisch bemerkte, aber auch, dass Viren ohne Eigeninfektion übertragen werden können. Die Maskenpflicht kam und aus anfänglicher Vorsicht entwickelte sich immer mehr Angst und Panik.

Je häufiger ich den Mund-Nasen-Schutz trug, umso belastender empfand ich ihn, er erschwerte mir das Atmen deutlich.

Zunächst schafften wir es trotzdem noch, Ruhe zu bewahren und unsere Freunde und Familie im Umfeld zu beruhigen. Die neuen Aufgaben auf der Arbeit, das neue Umfeld und Gegebenheiten, die in Österreich anders abliefen als in Deutschland, verlangten meinem Mann eine hohe Konzentration ab. Vermutlich war das eine willkommene Ablenkung und hielt zu starke Angst- und Panikgefühle von ihm fern.

Bei mir spitzte sich die Anspannung jedoch täglich zu. Viel mehr als ich es zugeben wollte. Die Zwangstrennung und das Ungewisse forderten mich stark heraus. Ich wusste nicht, wann ich meinen Mann überhaupt wieder in die Arme schließen konnte. Dann wurde auch noch sein Aufenthaltsort unter Quarantäne gestellt und nach den beginnenden Polizei-Kontrollen vermuteten wir, dass die Grenzschließung nicht mehr lange auf sich warten ließe.

So konnten wir unseren geplanten Umzug nicht durchführen. Aufgrund des Kontaktverbotes durfte die Spedition die Fahrt nicht durchführen und unsere Freunde durften nicht helfen. Aber da war der Kündigungstermin der alten Wohnung. Er war auf den 31. März festgelegt, alle Maßnahmen waren bereits getroffen.

Ich hatte große Angst! Ende des Monats sollte ich obdachlos sein, mitsamt des gesamten Hausstandes. Freunde boten mir zwar einen Unterschlupf oder ihre Couch an, doch wohin mit den Möbeln? Ein Lichtblick brachte das Gespräch mit meinem Vermieter, der mir freundlicherweise entgegenkam und einen weiteren Monat „Asyl“ gewährte. Ich war sehr erleichtert, dass für die nächsten vier Wochen ein Dach über dem Kopf für mich gesichert war.

Ausweglos?

Doch die Trennung von meinem Mann war immer schwerer für mich auszuhalten. Es schien so ausweglos.

Um zu mir zu kommen, hätte mein Mann zwei Wochen in Quarantäne in Deutschland bleiben müssen, um sich bei der Rückreise nach Österreich erneut zwei Wochen dort in Quarantäne zu begeben. Unmöglich, mit einer ganz neuen Arbeitsstelle. Außerdem hieß die Auflage vieler Betriebe: Wer in ein Risikogebiet reist, kann mit einer Abmahnung oder sogar Kündigung rechnen. Nachvollziehbar, denn schließlich geht es auch um das Fortbestehen der Unternehmen.

Wenigstens hatte ich als Freiberuflerin keine geschäftlichen Einbußen. Doch zum Überleben für uns beide reichten meine Einnahmen nicht aus. Unsere Rücklagen hatten wir bereits in den bevorstehenden Wechsel unseres Lebensmittelpunktes investiert.

Die Trennung schmerzte uns so sehr, dass wir beschlossen, ich müsse nachziehen. Dann eben ohne richtigen Umzug und nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Den Aufwand hatten wir unterschätzt:  Genehmigungen der Behörden in Tirol und Sachsen waren einzuholen, ich musste mich einem teuren, „freiwilligen“ Corona-Test an einem „Covid-19-Drive-In“ unterziehen. Unsere Hauskatze musste eine Tollwut-Impfung und ein Chipping über sich ergehen lassen, um in Österreich einreisen zu dürfen. Ich hielt mich weitestgehend von Menschen fern, denn nur mit einem negativen Corona-Test durfte ich einreisen. Bis zum Ergebnis zitterte ich. Doch dann die Erlösung: Der Test war negativ!

Jetzt brauchte ich nur noch zu entscheiden, welche notwendigen Dinge ich mitnehmen würde.

Doch was war das Nötigste?

Wir haben nie materialistisch gelebte, aber diese Frage war nicht so leicht zu beantworten. Innerhalb weniger Tage war so viel zu tun, dass ich nur funktionierte. Eine Verarbeitung der Ereignisse war im Grunde unmöglich.

Mir wurde durch den Zwang, mich auf das Allernötigste zu beschränken sehr bewusst, was wirklich wichtig ist und zählt. Interessanterweise, vermissen weder mein Mann noch ich wirklich etwas Materielles. Selbst nach mehreren Wochen des Lebens in unserer neuen Wohnung.

"Es geht nicht darum, den Schaden den viele Menschen erlitten, kleinzureden,
denn die Corona-Krise verlangt uns viel ab. Doch zwingt sie uns auch, uns mit uns selbst und
unseren Werten auseinanderzusetzen: Mit dem was zählt und was ich wirklich benötige,
um ein Leben mit mir und meinen Werten im Einklang zu führen."

Wer hat hier geschrieben?

Sara Puchelt

Du erreichst sie auch hier auf ihrem Autorenblog

http://www.zartfuehlen.wordpress.com

Diese Geschichte von Sara Puchelt ist Teil des Schreibwettbewerbs „Mut in der Krise“ und beruht auf ihrem persönlichen Erlebnis.

Genauere Informationen zum Wettbewerb findest du hier: Mut in der Krise.