Ein Paradies

Von Redaktion
Lebenswertes Hüls

Mutmach-Geschichte

Ein Paradies

von Hans-Martin Große-Oetringhaus


Die Zutaten: Engagierte Menschen, der Niederrhein, ein Naturrefugium in Hüls.

Lebenswertes Hüls

Vorwort der Herausgeber zur Geschichte

Wir kennen den Niederrhein und das Ruhrgebiet sehr persönlich, ist doch die weibliche Seite der Kreativmacherei mitten im Pott – in Duisburg – geboren. Wir wissen um die kleinen Naturschätze, die von den wenigsten in dieser Gegend erwartet werden. Vor allem aber spüren wir, mit wie viel Herzblut die dort ansässigen Menschen sich engagieren können, wenn es um etwas Schützenswertes geht. Wir drücken der Bürgerinitiative „Lebenswertes Hüls e. V.“ die Daumen, dass sie es schaffen, das Paradies zu erhalten.

Daher haben wir uns über diesen Beitrag von Dr. Hans-Martin Große-Oetringhaus und die damit verbundene Heimaterinnerung besonders gefreut. Vielen Dank! 

"Seien wir realistisch - versuchen wir das Unmögliche."
Che Guevara

Urbane Sturzregen, überflutete Keller, überhitzte Ortskerne, ausgedörrte Felder, Waldsterben: die Klimakrise hat auch den Niederrhein erreicht und damit auch Hüls, einen von der Stadt Krefeld eingemeindeten Ort, der aber seinen ländlichen Charakter bisher zum Teil noch bewahren konnte.

Ein Paradies

Mitten im Ort liegt ein Juwel: ein Naturgartengelände. Eine Reihe von Gärten wurde aufgegeben, weil sich die Eigentumsverhältnisse änderten oder ihre Besitzer sie aus Altersgründen nicht mehr bewirtschaften konnten. So „verwilderten“ sie und konnten ein durch Brombeeren, Brennnesseln und Sträuchern undurchdringliches Dickicht bilden. Neben solchen Naturrefugien liegen heute bewirtschaftete und mal intensiver mal weniger intensiv gepflegte Gärten. So entstand im Laufe der Jahre eine naturnahe Synthese von undurchdringbarem Brombeergestrüpp und Brennnesseldickicht einerseits und sorgsam gepflegten Gärten mit alten Obstbäumen und Hecken andererseits. Zwischen akkurat beschnittenen Johannisbeersträuchern, Zucchini, Tomaten, Bärlauch und blühenden Stockrosen und Calendula durften Löwenzahn und andere Wildpflanzen wachsen.

Der ökologischer Wert eines solchen kleinen Paradieses, wie viele Hülserinnen und Hülser es empfinden, darf nicht mutwillig zerstört werden, denn seine ökologische Funktion ist angesichts des sich zunehmend dramatischer gestaltenden Klimawandels nicht hoch genug einzuschätzen. Da erhält jeder kleinste Beitrag, den Klimawandel und seine fatalen Konsequenzen aufzuhalten, eine besondere Wichtigkeit. Darum gilt es, unversiegelte Böden und vor allem Gärten zu erhalten, nicht zuletzt, um das Kleinklima in der Ortsmitte günstig zu beeinflussen. Gerade auch das Nebeneinander von ökologischen Ruhezonen, naturbelassenen Wildbereichen und Nutzgärten, wie es diese Gärten charakterisiert, hat ein einzigartiges ökologisches Habitat entstehen lassen, dessen Diversität von Flora und Fauna heute wertvoller denn je ist. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, die außerhalb dieses Bereiches verdrängt wurden, konnten hier einen geschützten Lebensraum finden.

 

Der NABU erstellte 2016 eine Pflanzenliste für dieses Gelände, in der 117 verschiedene Pflanzen aufgelistet werden konnten. Sogar Orchideen, die sich selbst ausgesät hatten, wurden gesichtet.

Wachsender Widerstand

Am Ende des Jahres 2015 drangen plötzlich erste Informationen an die Öffentlichkeit, dass dieses Naturparadies zugebaut werden sollte. Die Nachricht von der geplanten Zerstörung der Gärten ließen Bürgerinnen und Bürger aufhorchen und nachfragen, zumal für die kommenden Jahre ein Wohnungsüberschuss prognostiziert worden war und zudem zahlreiche bereits versiegelte Flächen für eine Bebauung vorhanden waren. Erschrockene Hülser trafen sich erstmals am 25. Januar 2016, um Informationen zusammenzutragen und zu überlegen, wie die Gärten geschützt werden könnten. So gründete sich eine Gruppe, die sich die Gartenretter nannten.

Bereits ein Jahr später entwickelte sich aus der Bürgerinitiative der Verein Lebenswertes Hüls e.V., der kurz darauf auch seine Gemeinnützigkeit erhielt. In wenigen Monaten wuchs die Mitgliederzahl auf 120 an. Die Satzung, die auf der Gründungsveranstaltung am 18.Mai 2017 verabschiedet wurde, macht deutlich, dass sich der Verein über den Erhalt der Gärten hinaus auch für andere schützenswerte Bereiche in Hüls stark machen will, um den Ort lebens- und liebenswert zu erhalten. Dabei versteht sich der Verein als überparteilich und neutral und möchte mit allen gesellschaftlichen Gruppen, Parteien und Institutionen im  Ort in einen konstruktiven Dialog treten und mit ihnen gemeinsam Ideen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger entwickeln und umsetzen.

Eine Vision

Um diese Ziele erreichen  zu können, entwickelte der Verein die Vision von einem Hülser Naturpark Grüne Lunge. Sie versteht sich als Alternative zur Bebauung und Versiegelung des Gartengeländes. In Anlehnung an Martin Luther Kings „I have a dream“ wurde die konkrete Utopie von einem Hülser Naturgarten formuliert, der unter Beibehaltung der Gärten hier entstehen könnte. Man wollte sich nicht allein gegen, sondern vor allem auch für etwas einsetzen. So entwickelte der Verein eine Vision, in der sowohl die Gärten wie auch die unberührten Bereiche erhalten bleiben sollten. Darüber hinaus wollte man aber auch einen Schul- und Bauerngarten schaffen, dazu verschiedene Möglichkeiten, um eine Begegnung von Natur und Kultur zu ermöglichen.

Das Insektensterben ist bundesweit zu einem gravierenden Problem geworden. Das haben jüngst Krefelder Entomologen wissenschaftlich belegen können und dabei festgestellt, dass in den letzten Jahren der Insektenbestand um ca. 70 Prozent zurückgegangen ist. Um diesem Trend entgegenzuwirken sollen in dem Gelände zahlreiche Insektenhotels, Totholzhaufen und andere Orte geschaffen werden, die eine Wiederzunahme der Insektenpopulation unterstützen können. Ergänzend sollen auch Bienenstöcke angeschafft und aufgestellt werden.

Ein weiteres wichtiges Element des Parks sollte auch ein daneben liegender, ehemaliger jüdischer Friedhof werden, der lange Zeit vergessen worden war, dessen Grabsteine in den 40er Jahren zerschlagen und als Bauschutt verwendet und jetzt wiederentdeckt worden waren. Die Steine sollten an ihren ursprünglichen Platz zurückkehren. Und auch der alte, mitten in  den Gärten von dichtem Efeu zugewachsene Pulverturm aus der Zeit des deutschen Vormärzes von 1848 sollte unbedingt erhalten bleiben. Er ist letztlich auch ein Symbol für engagierte Bürger, die sich mit einer Bürgerwehr für ihre Freiheit, ihren Ort und ihr Land einsetzten. Damit kann dieser Turm auch an jene Zeit des deutschen Vormärzes erinnern, in der die Bürger viel Mut aufbringen mussten. So ist es auch kein Wunder, wenn man es in den Gärten heute singen hören kann: „Denn meine Gedanken / zerreißen die Schranken / und Mauern entzwei: / Die Gedanken sind frei!“

Tage der offenen Gärten

Um das Gartengelände bei den Bürgerinnen und Bürgern bekannt zu machen und um ihnen zu zeigen, um welches kleines „Naturparadies“ und „Kleinod“ es sich bei ihm handelt, um zudem auf die drohenden Konsequenzen einer Bebauung hinzuweisen, lud der Verein inzwischen bereits siebenmal zu einem Tag der offenen Gärten ein. An solchen Tagen konnte ein kleines Stück der Vision bereits vorweg genommen werden. So wurden Führungen durch das Gelände angeboten und Lesungen, kleine Konzerte, Bilder- und Fotoausstellungen, Infostände und Naturschutzstände organisiert. Auf diese Weise konnten Natur und Kultur in einen Dialog gebracht werden. Imker hatten inzwischen Bienenstöcke in den Gärten aufgestellt und erklärten, warum diese Insekten  für die Natur und die Lebensmittelproduktion so wichtig sind.

Indes gingen die Planungen der Stadt weiter. Aber der Bürgerwiderstand hatte erreicht, dass verschiedene Gutachten erstellt werden mussten. Die Bürger hoffen nun und gehen davon aus, dass diese deutlich machen, wie widersinnig und kontraproduktiv die Durchsetzung der Pläne zur Zerstörung der Gärten und ihrer Versiegelung und Bebauung sind. Gleichzeitig setzen sie ihr Engagement dafür ein, ihre Vision jetzt schon zumindest ein Stück weit Realität werden zu lassen. So konnte der Verein 2020 einen der verlassenen und brachliegenden Gärten pachten. Dass dies ein hochgestecktes Ziel ist, war allen bewusst. Und so machten sich Freiwillige daran, einen Bereich vom Brombeergestrüpp zu befreien und das Gelände dafür vorzubereiten, dass dort ein kleiner Schulgarten, Beete für Gemüse und Kräuter, Blühstreifen, Totholzhaufen und ökologische Nischen für Kleintiere und Insekten und ein Platz für Bienenstöcke entstehen können. Und natürlich soll auch für die Nach-Corona-Zeit eine kleine Sitzecke für Treffen, Infoveranstaltungen, Musikabende oder Lesungen angelegt werden.

Alles wird in kleinem Rahmen geschehen und kann erst ein Anfang sein. Aber das Ergebnis  zeigt bereits jetzt, dass beharrlicher Einsatz etwas in Gang setzen und Mut machen kann, den eingeschlagenen Weg voller Kraft weiter zu beschreiten, damit am Ende dieses kleine Naturparadies gerettet und damit dem Klimawandel etwas – wenn auch noch so Bescheidenes – entgegengesetzt werden kann. Mehr dazu auf: www.lebenswertes-huels.de

"Falls du glaubst, dass du zu klein bist, um etwas zu bewirken, dann versuche mal zu schlafen, wenn eine Mücke im Raum ist.
Dalai Lama
Hans-Martin Große-Oetringhaus

Wer hat hier geschrieben?

Dr. Hans-Martin Große-Oetringhaus ist Schriftsteller, Kinder- und Jugendbuchautor, Medienpädagoge und lebt in Krefeld. Die Bildrechte liegen ebenfalls bei ihm.

Du erreichst ihn auch hier:

Autorenseite: www.grosse-oetringhaus.de

Bürgerinitiative „Lebenswertes Hüls e.V.“
Fette Henn 29
47839 Krefeld
Telefon: 02151 736448

E-Mail: info@lebenswertes-hüls.de

www.lebenswertes-huels.de

Diese Geschichte von Dr. Hans-Martin Große-Oetringhaus ist Teil des Schreibwettbewerbs „Mut in der Krise“.

Sie beruht auf dem Engagement mehrerer Bürgerinnen und Bürger des Ortsteils Hüls in Krefeld, dem Bebauungsplan der Stadt ein Naaturrefugium als echte Alternative entgegenzusetzen.

Genauere Informationen zum Wettbewerb findest du hier: Mut in der Krise.