Der Deal

Von Redaktion

Mutmach-Geschichte

Der Deal

von Bo Wend

Die Zutaten: Verschmähte Liebe und ein neuer Freund

Vorwort der Herausgeber zur Geschichte

Wenn einem die Gewohnheit zur Falle wird und man sich eingestehen muss, dass die eigene Ehe am Ende ist. Wenn einem mutige Entscheidungen bevorstehen, die verlustreich, schmerzvoll und voller Veränderung sind, dann weiß man es noch nicht. Erst wenn alle Wunden versorgt sind und die Erinnerung langsam verwässert, dann gelingt einem die Erkenntnis: In jeder Krise steckt etwas Gutes.

Wir danken Bo Wend für diesen Beitrag.

Die Liebe geht oft seltsame Wege

Sie saßen in der gut besuchten Kirche, ziemlich weit hinten. Vorn saß die Tennis-Mixed-Partnerin ihres Mannes, Gisa, mit ihrer Familie. Gisas Mann war an einer unheilbaren Krankheit gestorben.

Nun wird sich einiges ändern, dachte Ruby. Ihr Mann Will ließ Gisa nicht aus den Augen.

„Die Liebe geht oft seltsame Wege“, dachte Ruby.

Aber ihr Herz war traurig

Als ihr Vater 1991 an Herzversagen starb, war sie 38 Jahre alt, knapp 20 Jahre verheiratet und fühlte sich von ihrem Ehemann betrogen.

Mit 17 Jahren war sie schwanger geworden und hatte sich in einer Beamtenausbildung befunden. Nach der Geburt und Eheschließung wohnten sie im Elternhaus. Sie hatte ganztags gearbeitet und ihrem Mann ein Studium (in den 1970ern ging das noch ohne Abitur) in Lübeck ermöglicht.

Mit 38 Jahren wollte Ruby einen Neuanfang. Das Interesse ihres Mannes an anderen Frauen beschämte sie und knabberte an ihrem Ego. Ihr Kopf verstand, warum ihr 39 Jahre „junger“ Ehemann sich für andere Frauen erwärmte, aber ihr Herz war traurig. Immer wieder betonte er seine Liebe zu ihr, aber Erzählungen von Freunden und Bekannten und eigene Einschätzungen ließen sie an seiner Liebe zweifeln. Für sie war es „Gewohnheit“, was er für sie empfand. Und warum flog er jedes Jahr mit seinen Tenniskollegen in Urlaub und ließ sie allein zurück? Ruby fühlte sich einsam in der Stadt, in die sie nach Wills Studium gezogen waren.

Rubys Vater hatte stets an sie geglaubt und hätte ihr sicher geraten, sich mit Weiterbildung abzulenken. Genau das tat Ruby nun und meldete sich bei einem Bildungsinstitut an.

Nach erfolgreichem Abschluss besuchte sie die einjährige Fachoberschule (FOS).

Ruby spürte, wie gut ihr die Weiterbildung tat und lernte begeistert. Deutsch und Politik waren von jeher ihre Lieblingsfächer, und als der Lehrer das Klassenzimmer betrat, war sie gleich „Feuer und Flamme“. Sie fühlte fast eine Seelenverwandtschaft zu ihm. Die ließ sie aber nicht zu, denn das Lernen war ihr so wichtig wie der Anfang ihrer Liebe zu ihrem Ehemann.

Als sie das „Fachabi“ nach einem Jahr bestand, war Rubys Mann stolz auf sie, und sie dachte, nun sei alles wieder in Ordnung. Auch ihre gemeinsame Tochter ging erfolgreich ihren Weg zur Erzieherin.

"Lass deinem Mann stets den Vortritt!"

Sie genossen den Sommer, doch dann wandte sich Will immer mehr von Ruby ab, und sie litt unter seinem Desinteresse.

Ruby dachte an die Worte ihrer Schwiegermutter: „Lass` deinem Mann stets den Vortritt!“ Aber er hatte doch am Anfang ihrer Ehe studiert und war Akademiker geworden. Sie hatte ihm stets den Vortritt gelassen. Nun wollte sie auch mal „dran“ sein. Denn er hatte „Karriere“ gemacht Sie war bei ihrer Tochter geblieben und hatte der Familie geholfen, wo sie helfen konnte. Sie war gern Mutter und Ehefrau. Deswegen hatte sie auf Anraten ihrer Mutter als Jugendliche auch die Hauswirtschaftsschule besucht und verwöhnte ihre Familie mit gutem Essen und z. B. selbst gemachtem Brombeerlikör.

Dass sie als Kind gern malte, kleine Geschichten und Gedichte schrieb, nachts unter der Bettdecke Bücher las, die sie aus dem Schrank ihres Vaters ausgeliehen hatte, interessierte niemanden. Obwohl ihr Vater sie von Zeit zu Zeit sorgenvoll gefragt hatte, ob sie auch fit für die Schule sei. „Kein Problem“, war ihr Kommentar gewesen, obwohl sie das Buch z. B. von `Napoleon Bonaparte´ viel lieber zu Ende gelesen hätte als zur Schule zu gehen.

Rubys ´Freund in der Realschule hatte ihr in einem Brief geschrieben, dass sie etwas Besonders  sei. Sie hätte dankbar darüber sein sollen, aber sie ärgerte sich, weil sie wie alle anderen sein wollte. Denn sie hatte den Eindruck gewonnen,  gescheite Mädchen wurden für nicht wünschenswert gehalten.

Das heimliche Geschäft

Will und Ruby stritten nach Rubys schulischer Weiterbildung wieder und wieder.

Nach den Debakeln verzog sie sich aber nicht mehr ins stille Eckchen, sondern dachte an die Schulzeit, ihren Lehrer, der ihr das fast verlorene Selbstwertgefühl zurückgegeben hatte. Und sie dachte an den Song der 90er Jahre „Lemon tree“ von „Fools Garden“, denn so fühlte sie sich oft.

Längst empfand sie mehr für ihren Lehrer als Freundschaft, jedoch sein Herz war nicht frei. Da sie bei ihm aber eine Zuneigung empfand wie am Anfang ihrer Ehe zu ihrem Ehemann, bat sie ihren Lehrer um einen „Deal“:

Er half ihr bei Gesprächen, ihre gescheiterte Ehe zu überwinden und diese loszulassen. Gleichzeitig nahm sie ein Psychologie-Studium auf.

Sie wollte auf keinen Fall eine „Ehe zu Dritt“ führen, denn sie spürte, dass ihr Mann sich in seine langjährige Tennis- Mixed-Partnerin Gisa verliebt hatte. Mit ihr würde er glücklicher sein, dachte Ruby, denn Will und Gisa teilten ihre Begeisterung für den Sport. Ruby schrieb, las und fotografierte lieber. Obwohl Ruby und Will sich in ihrer Ehe gut ergänzt hatten, stand nun eine Entscheidung an, um dem Glück eine Chance zu geben.

Glücklich geschieden

Dass es für Ruby schwer sein würde, allein zu leben, war offensichtlich, denn zu allem Unglück machte sich nun auch noch eine Erbkrankheit in ihrem Körper breit. Sie aber arbeitete inzwischen bei einer Zeitung, war viel unterwegs und dachte nicht über die Zukunft nach.

Außerdem hatte sie ihrem Vater versprochen, sich nach seinem Tod um Mutter zu kümmern. Die letzten fünf Jahre des Lebens ihrer Mutter pflegte und betreute Ruby sie vor Ort in dem Haus, in dem sie geboren wurde.

Heute sind Will und Ruby „glücklich geschieden“, und sie hat durch das Alleinsein gelernt, dass Liebe allein selten glücklich macht. Der Respekt voreinander, der Wunsch, gemeinsam die Hürden des Lebens zu bewältigen und der unbedingte Wille, einander zu helfen, wo Hilfe gewünscht wird, machen gute Beziehungen aus.

Nach einer langen Zeit der Besinnung und der Neuorientierung ihres Lebens, das aufgrund der Erbkrankheit nicht eben leichter geworden ist, denkt Ruby oft an den „Deal“ mit ihrem Lehrer, der ihr ein guter Freund war und ist.

Will führt sein neues Leben mit Gisa.
Ruby denkt, dass sie glücklich sind.

"Rubys Wut ist verflogen, denn sie hat einen neuen Freund hinzugewonnen, in einer anderen Stadt, die ihr ein neues Zuhause bietet."
Bo Wend
Autorin

Wer hat hier geschrieben?

Bo Wend ist Rentnerin, Drehbuchautorin, Poesiepädagogin, Buchautorin, Journalistin, Kulturmanagerin. Sie ist ehrenamtlich aktiv und plant gerade einen Film zu realisieren.

Diese Geschichte von Bo Wend ist Teil des Schreibwettbewerbs „Mut in der Krise“.

Sie beruht auf einem persönlichen Erlebnis und ist an dieser Stelle erschienen, da ihre Geschichte anderen Mut machen soll, die in einer ähnlichen Krise stecken.

Genauere Informationen zum Wettbewerb findest du hier: Mut in der Krise.