Mutmach-Geschichte
Danke Oma
von Keth Lyss
Die Zutaten:
Blonder Humor, Corona und nur eine einzige wahre Zuhörerin.
Vorwort der Herausgeber zur Geschichte
Ein humorvoller Erfahrungsbericht über Fernweh, einem ernüchternden Start in das neue Leben und einer Großmutter, die einfach nicht weghören will. Was entsteht ist ein wirklich romantischer Mutmacher.
Wir danken Keth Lyss für Ihren Beitrag.
Ein Verbindungsstück namens Muffe
Ich denke, in unserem Alltag heutzutage gibt es fast jeden Tag eine Krise. Für mich als blonde Frau, und dabei spreche ich nur für mich allein, komme ich mir fast täglich blond vor und empfinde allein das schon als Krise meiner selbst. Aber ich glaube, das ist es nicht, was man als Krise bezeichnen sollte.
Es ist keine Heldentat im Elektroladen oder Baumarkt zu stehen und zu sagen: „Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe ein Rohr, was aus der Wand guckt und eine neue Waschmaschine und brauche nun ein Verbindungsstück namens Muffe. Könnten Sie mir dabei helfen, da ich leider voll blond bin und eine Frau noch dazu?“
Meine Lösung für solch ein Problem ist blonder Humor und eine Lachfalte im Gesicht. Das wirkliche Problem hierbei ist hingegen die vermeintliche Tatsache, dass man hinterher entweder als blöd abgestempelt oder spätestens nach dem dritten Mal für nicht ganz voll genommen wird. Denn leider scheint die Ausrede überholt zu sein und der Berater über ein fotografisches Gesichtserkennungs-Gedächtnis zu verfügen.
Da ich mal gelernt habe, dass in professionell aussehenden Texten auf Sonderzeichen, die Lachsmileys ähneln, verzichtet würde, fehlt hier jetzt ein grinsendes Gesicht und lauter Beifall Ihrerseits.
Doch ist es nicht absurd über Krisen zu schreiben, die sich in der Zeit zu Corona abspielen? Gibt es Krisen nicht jederzeit und überall? Ich schätze ich wurde eines Besseren belehrt und muss leider – oder zum Glück – über diese momentane, schreckliche Zeit berichten, die uns im Stillen etwas ganz Simples lehrt:
Zusammenhalten!
Und nun zu meiner wahren Krise, auch wenn die bisherige Geschichte leider auch wahr ist. Ich bin Anfang Februar umgezogen. Ich hatte meinen alten Job gekündigt, brauchte Veränderung in jeder Hinsicht und bewarb mich, genau genommen, am anderen Ende Deutschlands. Auch wenn ich einen neuen Tapetenwechsel brauchte und weit wegwollte, so begriff ich sehr schnell, dass Weite nicht nur ein Ausdruck von Freiheit ist, sondern genauso Fremde und Distanz bedeutet. Distanz von allem Vertrauten, Bekanntem, der bisherigen Routine. Versuchen Sie einmal “das Haus vom Nikolaus“ andersherum zu zeichnen. Es funktioniert, aber es ist irgendwie komisch; anders; nicht so vertraut; nicht so bekannt. Kurz gesagt: es fühlt sich fremd an.
Genauso hat sich auch der Umzug angefühlt. Die neue Gegend, das neue Zuhause – Fremd. Die Familie weit weg; Freunde überall, nur nicht bei mir – und Bekanntschaften? Dafür war es noch zu früh. Ich kannte niemanden und nur die Stadt vom flüchtigen Durchfahren.
Manch einer möge sagen, es ist wie beim Durchgangsarzt: Man kommt an; sieht im Vorbeirauschen alles, was einem begegnet; man nimmt alles wahr; wird weitergeleitet und erfährt letztendlich nicht alles. Das könnte nett umschreiben, was ich bisher von dieser Stadt, meinem vermeintlich neuen Zuhause gesehen habe. Eben nicht alles.
So hat die Krise begonnen. Denn auch wenn ich neu war, nach einer Weile, wird jeder neue Wohnort zum Zuhause. Zumindest dachte ich das. Die Pläne waren geschmiedet, der Sportverein ausgesucht, das kulturelle Programm durchgeschaut, die Wochenenden in meinem neuen Zuhause verplant. Möglichkeiten unter Leuten zu kommen gab es viele. Die Chance neue Freunde zu finden lag zum Greifen nah.
Doch dann kam Corona!
Wünsche zerplatzen
Ziele und Wünsche zerplatzten wie eine Seifenblase. Alle Überlegungen waren umsonst. Der Sport: passé; Leute kennenlernen: ade; ankommen im Zuhause: adieu. „Leb wohl“ bekam dadurch eine ganz neue Bedeutung. Die nächsten Wochen waren lang und die Hoffnung alles Vertraute, Bekannte, Familie und Freunde wiederzusehen, rückte in weite Ferne. Ja, selbst die Routine schien verloren.
Doch was sollte ich tun? Es ging ja nicht nur mir so, sondern jedem anderen auch. Ich war nicht allein und das gab mir etwas Erleichterung und das Gefühl eine von vielen zu sein. Eine merkwürdige Ansicht nicht allein sein zu müssen, auch wenn man es doch in diesem Augenblick war. Diese Art von Zusammenhalt gab mir Kraft und Motivation durchzuhalten, wieder in den Alltag hineinzufinden und daran zu glauben, bald wieder vereint zu sein.
Doch wie lange würde es dauern? Wie lange würde ich so isoliert leben können in einem fremden Ort, wo ich mich so allein fühlte und mich nach Personen in meiner Nähe sehnte? Es ist nicht allzu schwer zu beantworten, denn lange hielt ich es nicht aus. Mein Telefon lief täglich heiß, da ich es vorzog mich mit Menschen, anstatt mit meinen nicht antwortenden Pflanzen zu unterhalten. Ich rief Bekannte an, Freunde, unterhielt mich mit der Familie. Doch schon bald wusste ich nicht mehr, wen ich noch anrufen könnte. Es ist etwas anderes unter Menschen zu sein oder die Tage nur mit einem schwarzen Kasten am Ohr zu verbringen. Ein Telefon kann sich wahnsinnig gut als Zuhörer tarnen, gibt jedoch nur das Echo der sprechenden Person wieder und hat vor allem wenn niemand Zeit hat, absolut nichts zu sagen.
Natürlich wusste jeder aus meiner Familie wie ich mich fühlte und auch Freunden war die Situation bekannt. Aber jeder war mit seiner eigenen Krise beschäftigt. Niemand hatte wirklich Zeit zuzuhören und sich mein Gejaule und Gejammer anzutun.
Niemand, außer einer Person: Oma!
Wäre dies nun eine Heldengeschichte wäre sie die Hauptperson und Retterin in der Not. Sie hatte und hat immer noch jeden Tag ein offenes Ohr für mich. Ich weiß nicht ganz genau, warum und wie sie mich jeden Tag erträgt, doch was ich weiß ist, dass wir durch Corona noch enger zusammen gerückt sind. Mittagspausen wurden zur Telefonsprechstunde mit Oma, gekaut wurde nebenbei, gekocht auch und Fragen vom Opa „Was will sie denn schon wieder?“ wurden gekonnt ignoriert.
Blonde Frau sucht . . .
Vor ein paar Monaten, als alle Verbote gelockert und aufgehoben wurden, fragte meine Oma, wie es denn nun mit meinem Sport vorangehen würde.
Naja, wie sollte es vorangehen beim Tanzen ohne Tanzpartner in einer noch geschlossenen Tanzschule? Stillstand war angesagt. Aber meine Oma meinte, ich solle nicht tatenlos herum sitzen und könne etwas gegen das Alleinsein und die fehlende Bewegung tun. Ihr Vorschlag: in der Zeitung inserieren.
„Blonde Frau sucht attraktiven Mann zum Tanzen.“ Nein, womöglich bekäme ich nur Männer ab, die nur auf blonde Frauen stehen.
„Attraktive Frau mit Rundungen sucht ihn, größer als 185 cm, damit sie ihre 10 cm Tanzschuhe tragen kann.“ Nein, was wäre, wenn der Mann mit 184,5 cm darunter fällt und sich ausgeschlossen fühlt oder er keinen Schweizer Käse als Füße mag?
Es war aussichtslos einen brauchbaren Text zustande zu bringen, wenn man dabei nicht in Zeichensprache sprechen oder Unsummen an Geld ausgeben wollte. Ganz aufgeben wollte ich die Suche nach Gemeinschaft jedoch nicht und so nahm ich die Idee meiner Oma, einfach mal nach einem Tanzpartner zu suchen, auf – im Internet.
Es ist ja mittlerweile herrlich einfach und unkompliziert sich einen Mann zu suchen, aber es ist wirklich nicht einfach einen Tanzpartner zu finden. Die Suche gestaltete sich recht schwierig: Zu alt, zu jung, zu weit weg, zu klein, zu hübsch und zu groß. Moment: Zu hübsch kann ja nicht sein. Oh doch, leider sehr gut aussehend. Und die Größe: zu groß. Kann auch nicht sein. Doch! Leider sehr groß. Da wäre sogar Luft nach oben für neue Tanzschuhe. Und in meiner Nähe?
Kurzum gesagt: Ich hatte keine Wahl, ich musste mir ein Profil anlegen.
Doch welcher Text? Kurz, direkt und schmerzlos: „Offene, attraktive und humorvolle Frau sucht endlich wieder einen Tanzpartner, denn der Spiegel ist ein guter Zuschauer aber ein sehr passiver Tänzer.“
An dieser Stelle fänden sich auch unprofessionelle Smileys wieder.
Oma ist "schuld"
Wer mich nun fragt, wie ich auf die Idee gekommen bin, im Internet nach einem Tanzpartner zu suchen, dem muss ich leider gestehen, ich habe kein Patent auf dieser Erfindung und meine Oma ist schuld. Um das Ganze abzukürzen und es mal offen zu lassen, ob es ein Happyend gibt, ich einen Tanzpartner gefunden und meine Krise vom Alleinsein überwunden habe, kann ich nur sagen: Corona ist immer noch da und die Krise ist ebenso allgegenwärtig geblieben.
Aber dank des Zusammenhalts der Allgemeinheit, den schwarzen Kästen am Ohr und vor allem dank meiner wunderbaren Oma bin ich nun um einige Kontakte reicher, brauche deutlich höhere Tanzschuhe und fühle mich nicht mehr so allein.
Denn jetzt habe ich gelernt, dass Weite nicht nur Fremde und Distanz bedeutet, sondern Chance und Nähe. Und diesen Zusammenhalt nennt man Liebe.
Danke Oma!
Wer hat hier geschrieben?
Keth Lyss wurde 1993 geboren und lebte je 10 Jahre im Hochdeutschen und im Ruhrpott.
Sie hat Landschaftsarchitektur studiert und schon bei den Schwaben, den Ostfriesen und auf Teneriffa gelebt. Sie schickt ihre Postkarten erst ab, wenn sie schon wieder woanders ist.
Sie hat schon viele Geschichten erlebt und aufgeschrieben, aber nie veröffentlicht.
Ihr Ziel ist nach wie vor dasselbe: Ankommen!
Diese Geschichte von Keth Lyss ist Teil des Schreibwettbewerbs „Mut in der Krise“ und beruht auf einem persönlichen Erlebnis.
Genauere Informationen zum Wettbewerb findest du hier: Mut in der Krise.